Ein Beitrag von Luisa Altegoer vom 4. August 2021
In Hinblick auf die Bundestagswahl im September wollte unser Bündnis wissen, wie die verschiedenen Parteien zu den Themen Rechts, Rassismus und Integration stehen bzw. wie sie sich bei diesen Themen engagieren. Hierfür hat sich eine Arbeitsgruppe aus den drei jungen Studentinnen Alicia Benning, Hannah Hortlik und Luisa Altegoer gebildet. Sie haben mit allen demokratischen Parteien, die im Rat der Stadt Dorsten vertreten sind, ein Interview geführt. In den kommenden Beiträgen sollen nun die Kernaussagen dieser Gespräche vorgestellt werden. Die Reihenfolge der Veröffentlichung stellt hierbei keine politischen Präferenzen dar, sondern orientiert sich lediglich an den Zeitpunkten der einzelnen Interviews. Was ist den Parteien wichtig, wofür setzen sie sich ein? Machen Sie sich selbst ein Bild!
Das dritte Gespräch haben wir mit Tobias Stockhoff geführt. In seiner Funktion als Bürgermeister und insbesondere als Wahlleiter der Stadt Dorsten für die Bundestagswahlen muss er sich parteineutral verhalten. Dennoch gehen wir davon aus, dass aufgrund seiner Position viele Bürger:innen seine Meinung besonders schätzen werden, und haben ihn deshalb um das Interview gebeten. Um Missverständnissen vorzubeugen, haben wir Aussagen, welche Herrn Stockhoffs persönliche Meinung widerspiegeln, die er nicht aus seiner Position als Bürgermeister getätigt hat, klar als solche kenntlich gemacht.
Laut Herrn Stockhoff gebe es (in Dorsten) unterschiedliche Formen des Rassismus: sehr offensichtliche Formen wie z.B. die Ausgrenzung oder Beschimpfung von Migrant:innen, aber auch subtilere, latentere Formen des Rassismus. Häufig bestünden z.B. ganzen (migrantischen) Gruppen gegenüber Vorbehalte und ein gewisses Misstrauen, was diese Personen häufig gar nicht konkret benennen könnten und würden. Dabei sei es wichtig, allen Menschen vorbehaltslos entgegenzutreten. Wären Vorbehalte vorhanden, wie diese leider im privaten wie öffentlichen Bereich (z. B. Verwaltungen) nicht ausgeschlossenen werden könnten, müssten diese konsequent abgebaut und bekämpft werden. Um diesem Problem in städtischen Verwaltungsstrukturen zu begegnen und somit auch strukturellen Formen von Rassismus und Ausgrenzung allgemein entgegenzutreten, würde bspw. einmal jährlich ein Workshop in Kooperation mit dem Jüdischen Museum stattfinden. Hier ginge es nicht nur darum, Rassismus zu bekämpfen, sondern allgemein Vorurteile und Vorbehalte gegenüber bestimmten Personen und Personengruppen abzubauen.
Es sei die Verantwortung der Politik, in der Analyse von Problemen schonungslos zu sein und zu bleiben, in der Wortwahl jedoch die Sache in den Vordergrund zu stellen. Hierdurch könnten Probleme erkannt und analysiert werden, ohne Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen zu schüren. Auf die Problemanalyse müsse die Suche nach Lösungsansätzen und die Bekämpfung von Ursachen folgen. Es müssten Angebote für Dialog und Austausch geschaffen werden, um Menschen verschiedener Kulturen ins Gespräch zu bringen – hierfür sei es wichtig, dass die Politik mit bestehenden Gruppen wie Vereinen und Nachbarschaften kooperiere. So könnten bereits bestehende Strukturen genutzt werden, um das Knüpfen von Kontakten zu ermöglichen und Austausch zu schaffen. Aus seiner Sicht sei es wichtig, dass Menschen unterschiedlicher (kultureller) Gruppen unmittelbar miteinander in Kontakt kommen, z.B. durch direkte Nachbarschaft. Dies sei auch bei der Aufstellung von Bebauungsplänen wichtig. Er verweist darauf, dass die Integration der Geflüchteten 2015/2016 wesentlich besser gelungen sei als in den 1990er Jahren, was v.a. auch an der dezentralen Unterbringung läge. Außerdem müssten die Menschen ermutigt werden, sich einzubringen, z.B. in Stadtteilkonferenzen, der Freiwilligen Feuerwehr oder dem Schützenverein. Dabei gehe es nicht nur um große Projekte, sondern v.a. auch um viele kleine Aktionen. So hätten sich z.B. 2015 viele Schützenvereine bei der Einrichtung der Flüchtlingsunterkünfte mit eingebracht. Hierdurch hätten die Helfenden auch direkt einen ganz anderen Bezug zu den Geflüchteten gehabt. Herrn Stockhoff ist es wichtig, in den Dialog zu treten und in Aktion zu kommen, statt nur theoretische Pläne auf dem Papier zu schmieden.
Auch der mangelnden Diversität der Dorstener Politik ist er sich bewusst. Er vermutet, die CDU werde möglicherweise aufgrund ihres Namens „Christlich-Demokratische Union von weniger Migrant:innen gewählt als andere Parteien. Dabei stehe das Wort ‚christlich‘ ja v.a. für ein christliches Menschenbild, dies habe sich in den letzten Jahren zunehmend geöffnet. In Vorständen und politischen Gremien wie dem Stadtrat seien aber nicht nur Migrant:innen, sondern auch andere Gruppen unterrepräsentiert. Insbesondere Akademiker:innen und Mitglieder der verwurzelten Mittelschicht würden sich engagieren. Die Altersgruppe 25 bis 40 sei aufgrund von zeitlichen Herausforderungen durch Karriere, Hausbau oder Kindererziehung stark unterrepräsentiert. Er sagt, das politische Ehrenamt müsse attraktiver gestaltet werden (z. B. Sitzungszeiten) und die Chancen für bisher nicht oder unter-repräsentierte Gruppen (z. B. diversere Kandidat:innen wie Frauen, Migrant:innen, Menschen mit einem geringen Einkommen oder junge Menschen) müssten verbessert werden.
Integration bedeute, etwas Neues entstehen zu lassen und dabei die gelebten Grundregeln beizubehalten. Beide Seiten müssten einander offen akzeptieren und bereit sein, im Miteinander etwas zu verändern. Es sei wichtig, dass die individuelle Freiheit des einen die des anderen nicht einschränke. Um dies zu ermöglichen, müsse man sich zunächst gegenseitig wahrnehmen, um sich dann gegenseitig ernst zu nehmen und wertzuschätzen.
In der Stadt Dorsten gelinge Integration über Aktionen verschiedener Vereine, wie z.B. Sport- oder Schützenvereine. Außerdem gebe es Projekte der Dorstener Arbeit, bspw. Migrant:innen die zu Hausmeister:innen ausgebildet würden. Hier würden sie dann direkt mit ihren Mitbürger:innen in Kontakt kommen und Wertschätzung für ihre Arbeit erfahren. Umgekehrt könnten hierüber Vorbehalte abgebaut werden. Wie bereits oben erwähnt, sei auch die dezentrale Unterbringung der Geflüchteten von großer Wichtigkeit. Hierdurch würde zum einen der direkte Kontakt mit Mitbürger:innen erleichtert, zum andere sei der Einstieg für geflüchtete Kinder in die Schule erleichtert: Für die Lehrkräfte sei es einfacher, sich um eine Handvoll Kinder mit Sprachbarriere zu kümmern als wenn dies die Hälfte einer Klasse betreffe. „Gute Integration funktioniert am besten, wenn sie individuell ist.“ Der Einsatz von ehrenamtlichen Integrationslots:innen, welche zuvor eine kulturelle und rechtliche Schulung erhielten, ermögliche eine engmaschige und persönliche Betreuung der Migrant:innen. Auch der Integrationsrat könne eine wichtige Rolle spielen. Dieser sei jedoch gerade erst angelaufen, daher müsse erst abgewartet werden, wie seine Rolle sich entwickle. Leider würde auch dieser die in Dorsten lebenden Migrant:innen nicht vollständig repräsentieren, was weiterhin zu Hürden führen könne. Vor allem sei es Ziel, dass die Menschen direkt in den Gremien sitzen würden und ein Werkzeug wie der Integrationsrat auf Dauer nicht mehr benötigt würde.
Herr Stockhoff sieht sich selbst als Bürgermeister in einer Vorbildfunktion. Es sei wichtig, Stellung zu beziehen, wenn Menschen ausgegrenzt würden. Wenn er zu Veranstaltungen käme, würde er daher z.B. häufig zunächst einmal auf Menschen zugehen, die eher am Rand stünden, statt auf Personen, die sowieso schon im Mittelpunkt stünden. Dies tue er nicht nur bei Migrant:innen, dies sei ihm allgemein bei allen Menschen wichtig. Grundsätzlich sei es ihm wichtig, Präsenz zu zeigen und z.B. Weihnachtsfeiern, Schützenfeste und auch Feste migrantischer Gruppen zu besuchen – hiermit wolle er symbolisieren, dass alle Bürger:innen gleichermaßen wichtig seien.
Austausch und Kommunikation sieht er als Schlüssel zu Integration. Hierüber sei es möglich, Lösungen und Kompromisse zu finden. So habe z.B. eine Absprache mit dem Moscheeverein es ermöglicht, dass die gläubigen Muslim:innen im Ramadan auch den Gebetsruf hören konnten. Dieser durfte von der Moschee ertönen, jedoch in einer Lautstärke, die für die anderen Anwohner:innen nicht störend war. Außerdem sei es wichtig, etablierte Institutionen wie z.B. die Freiwillige Feuerwehr mehr zu öffnen und in Integrationsprojekte miteinzubeziehen.
Zum Thema Rechts(extremismus) betont Herr Stockhoff, dass er sich klar gegen jede Form des Extremismus ausspreche. Rechte Positionen seien extremistisch, wenn durch diese Grundrechte und unsere Verfassung verletzt würden. Extreme Parteien würden sich, zumindest in Teilen, nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes befinden, er glaube jedoch, dass nicht alle (Protest)wähler:innen alle extremen Überzeugungen vollständig teilen würden. Um dem Erstarken extremistischer Parteien entgegenzuwirken, sei es wichtig, Ursachen für die Unzufriedenheiten und Sorgen der Wähler:innen dieser Parteien zu finden und falsche Sachverhalten aufzuklären und richtigzustellen. Die Funktionäre solcher Parteien würden die Menschen lediglich als Werkzeuge instrumentalisieren – dem lasse sich nur durch persönliche Nähe entgegentreten. Außerdem müssten (rechte) Straftaten – unabhängig, ob es sich dabei um Sachbeschädigungen, Beleidigungen, Hetzerei oder gar Körperverletzung handle – konsequent zur Anzeige gebracht und bestraft werden.
Er ist der Meinung, dass es die Aufgabe demokratischer Parteien sei, die Protestwähler:innen extremer Parteien zurückzugewinnen und die Ursachen für deren Wahlentscheidung zu ergründen. Die Funktionäre solcher Parteien stünden jedoch nicht auf dem Boden des Grundgesetzes, daher könne es mit diesen keine Kooperation geben.
Auch die Berichterstattung in den sozialen Medien sei teils problematisch. Die Überschriften vieler Artikel seien reißerisch, die Medien kämen hier ihrer Verantwortung sachlicher Berichterstattung leider nicht immer nach. Online-Redaktionen würden zudem häufig die Kommentarspalten ihrer Postings nicht genügend kontrollieren. Hetzerische und beleidigende Kommentare müssten konsequent gelöscht und Personen blockiert werden. Er selbst versuche, wenn immer möglich, mit den Menschen in den Diskurs zu gehen und geduldig Entscheidungen und Argumente zu erklären. Selten, wenn er den Eindruck habe, alles andere habe keinen Sinn, gebe er auch sarkastische Antworten auf Kommentare. Ihm sei es wichtig, vorsichtig zu sein und Personen nicht zu schnell vorzuverurteilen, sondern sich den Hintergrund anzuschauen und zu überlegen, warum und wie Menschen zu einer Überzeugung kämen.
Wir beendeten das Gespräch mit der Frage, wie Tobias Stockhoff auch in Zukunft gewährleisten will, dass – um Rassismus und Rechtsextremismus zu bekämpfen – es attraktiv bleibt, demokratische Parteien zu wählen.
Die Gesellschaft brauche Parteien, die Interessen und Bedarfe zusammenführen, dies sei die Aufgabe der Volksparteien. Er selbst sei CDU-Mitglied, weil er überzeugt sei, dass die CDU als Volkspartei eine gesellschaftliche Klammer bilde. Man müsse den Menschen vermitteln, dass eine Partei nie zu 100% erfüllen könne, was man sich wünsche. Je mehr Menschen zusammenkämen, desto mehr Meinungen gebe es. Die Mischung mache es, man müsse Maß und Mitte finden. Daher glaubt Herr Stockhoff: „Ein pragmatischer Ansatz ist der richtige Ansatz.“ Ihm sei es wichtig, sich immer dem Dialog zu stellen. Zeit sei eine Form der Wertschätzung. Die Politik müsse sich mehr Zeit für den direkten Dialog mit den Menschen nehmen, hier müsse sich die Politik noch verbessern. „Wir müssen wieder mehr zu den Menschen und sie für Demokratie begeistern.“
Wir bedanken uns noch einmal bei Herrn Stockhoff für dieses informative Gespräch! Wir hoffen, Ihnen einige interessante Einblicke gegeben zu haben! Wenn Sie neugierig geworden sind, was die anderen Parteien in unseren Gesprächen gesagt haben, lesen Sie gerne auch unsere anderen Artikel!