Täglich für ein gutes Miteinander einsetzen – Rede von Dr. Kathrin Pieren

Redebeitrag von Dr. Kathrin Pieren, Jüdisches Museum Westfalen anlässlich der Kundgebung “Aufstehen für Demokratie” am 26.01.2024

Fotos: Moritz Brilo

Ein Zitat fiel mir sofort ein, als ich nach Worten für diesen Abend suchte. Sie haben es sicher schon oft gehört. Der evangelische Theologe Martin Niemöller, der selbst als politischer Gefangener im Konzentrationslager inhaftiert war, schrieb nach Kriegsende:

“Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler.

Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude.

Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Er beschreibt hier, wie passiv er blieb, als die Nationalsozialisten Unerwünschte abholten und unrechtmäßig verhafteten. Historisch waren dies, wie in seinem Zitat, zunächst die politischen Gegner*innen der Nazis.

Bereits 1938 – und das ist immer noch wenig bekannt – schafften sie jedoch auch die ersten jüdischen Bürgerinnen raus. Ungefähr 17.000 Juden*Jüdinnen mit polnischer Staatsbürgerschaft wurden am 27. und 28. Oktober 1938 über die Grenze nach Polen abgeschoben.

Einer von ihnen war Simon Reifeisen, der dort drüben in der Essener Straße, dort wo jetzt sein Stolperstein liegt, einen Kleider- und Stoffladen hatte. Am 28. Oktober wurde er zusammen mit seiner Frau Gertrud und seiner kleinen Tochter Ilse nach Polen abgeschoben. Ilse war, wie viele andere Deportierte, in Deutschland geboren und noch nie zuvor in Polen gewesen. Sie sprach kein Wort Polnisch. Bis auf ihre Papiere war sie Deutsche.

An diese erste kollektive Abschiebung der NS-Geschichte, ganze drei Jahre vor den Deportationen der Juden*Jüdinnen in die KZs, fühlte ich mich erinnert, als ich die von Correctiv enthüllten Pläne zur sogenannten „Remigration“ von Menschen mit Migrationsgeschichte las.

Um zurückzugehen zum Zitat von Martin Niemöller.
Warum ist sein Bekenntnis gerade heute so aktuell?

Weil Martin Niemöller uns ermahnt, uns als Teil einer Gesellschaft zu begreifen.
In einer Demokratie sollen wir nicht nur für diejenigen einstehen, die so sind und so denken wie wir. Wir sind dazu aufgefordert, die Rechte aller zu schützen. Auch er selbst musste das übrigens zuerst lernen, 1924 hatte er nämlich noch begeistert die
NSDAP gewählt.

Ich freue mich, dass heute in Dorsten so viele für die Demokratie aufstehen. Heute verteidigen wir sie mit unseren Stimmen und Transparenten.

Wer das Wahlrecht hat, der*die sorge bitte im Juni dafür, dass auch bei der Europawahl nur demokratische Parteien gewählt werden.

Und vergessen wir alle nicht, uns in der Bahn, auf der Arbeit, in der Kneipe, im Verein oder zu Hause, jeden Tag aktiv gegen Ungleichheit und Ausgrenzung und für Respekt, Toleranz und Vielfalt einzusetzen.

2 Antworten auf „Täglich für ein gutes Miteinander einsetzen – Rede von Dr. Kathrin Pieren“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert